Berlin, 11. Juli 2020: Gemeinsame Erklärung von AGA e.V. und FÖGG e.V.

Berlin, 11. Juli 2020: Gemeinsame Erklärung von AGA e.V. und FÖGG e.V.

Der Beschluss des obersten Gerichts der Türkei, das bisherige Bau- und Kulturdenkmal Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln, hat nicht nur viele Christen bestürzt. Die Menschenrechtsorganisationen AGA e.V. und FÖGG e.V. sehen darin eine gezielte Herabwürdigung und provokative Absage an eine plurale, auf dem respektvollen Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen aufbauende Gesellschaft. Hier die gemeinsame Erklärung beider Organisationen:



Die Nachricht von der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee hat uns betroffen und traurig gemacht. Manche meinen allerdings, man solle dem keine große Bedeutung beimessen: Hagia Sophia war ein Gebetshaus und wird es nun wieder sein!

Es mangelt in der Türkei wahrhaftig nicht an Moscheen. Jährlich kommen dort 1.500 neue hinzu – darunter auch allzu oft ehemalige christliche Gotteshäuser. Herr Erdoğan muss also keine Sorge haben, dass der muslimischen Gemeinde Istanbuls kein Gebetshaus mehr zur Verfügung steht.
Doch es ging bei der Umwidmung des Kultur- und Baudenkmals Hagia Sophia auch gar nicht um die Vermehrung muslimischer Gotteshäuser, sondern viel mehr um die Fortsetzung der Politik der Jungtürken, des einstigen Komitees für Einheit und Fortschritt. Sie bestand darin, nicht nur über drei Millionen indigene Christen physisch zu vernichten, sondern im Anschluss an diesen Völkermord alles auszulöschen, was an das christliche Erbe Kleinasiens und Mesopotamiens erinnern könnte. Es ging und geht um Vernichtung oder triumphalistische Aneignung, in diesem Fall eines Geschichts- und Kulturdenkmals von universaler, einzigartiger Bedeutung. Die Hagia Sophia ist zudem für etwa 300 Millionen orthodoxer Christen weltweit das wichtigste Gotteshaus, vergleichbar der Bedeutung von Notre Dame in Paris für die Welt.
Die damaligen und heutigen Machthaber in der Türkei wollen weder auf die Gefühle ihrer christlichen Bürger Rücksicht nehmen, noch deren kulturellem Erbe den nötigen Respekt erweisen.

In solchem konfrontativen politischen und sozialen Umfeld, wo der Respekt und die Achtung vor dem geschichtlichen Erbe der unterschiedlichen Gemeinschaften des Landes fehlt, ja mehr noch, wo die Missachtung und Herabwürdigung klar durch derartige Handlungen befördert werden, sind Untaten und Verbrechen, wie der IS sie begeht, nicht mehr fern.
Allein die Jubel-Rufe nach der Gerichtsentscheidung von Menschen, die triumphierend die türkische Fahne mit muslimisch-religiösen Sprüchen schwenkten, lassen erahnen, welchen Geist des Hasses und der Intoleranz die obersten politischen Entscheidungsträger wachrufen wollen.
Christen aus dem Nahen und Mittleren Osten macht das zu Recht Angst. Sie sind mehr als beunruhigt. Wenn Menschen aus religiösen oder nationalistischen Gründen anfangen sich über andere zu erheben und andere zu missachten, dann ist der Schritt zu Schlimmeren zu befürchten.
Es ist umgekehrt dringend nötig, dass sich die Türkei endlich auf ihr reiches und vielfältiges Erbe besinnt, so lange dessen Reste nach Völkermord und Massenvertreibungen noch verfügbar sind. Es ist erforderlich, dass dieses Erbe in den Schulbüchern thematisiert wird, damit die Menschen lernen, welche großen kulturellen Leistungen die Vorfahren der christlichen Gemeinschaften auf dem Boden der heutigen Türkei hervorgebracht haben und dass dies ein Teil des kulturellen Erbes der Türkei ist.
Ein exklusives, nationalistisches Denken, das nur das Türkentum und den Islam beinhaltet und alles andere bewusst ignoriert oder verachtet kann nicht zu einer solidarischen Gesellschaft führen. Es ist notwendig, diesem Ansinnen unmissverständlich eine klare Absage zu erteilen.
Es geht hier nicht darum, Christen gegen Muslime aufzuhetzen. In diese Falle Erdoğans soll man nicht hereinfallen. Es geht darum, die Achtung und die Gefühle der christlichen Bürger in der Türkei zu schützen – gerade vor dem Hintergrund der genozidalen Geschichte des 20. Jahrhunderts - und ihnen Achtung und den nötigen Respekt zu erweisen.
Nehmen Sie bitte die Entscheidung zur Umwandlung Hagia Sophia in eine Moschee nicht leichtfertig als gegeben hin! Dies kann nur katastrophale Folgen haben. Christen dieser Region können sich nicht auf Dauer in einer exklusiv türkisch nationalistischen und religiös feindseligen Gesellschaft wohl fühlen und werden direkt oder indirekt durch verbale oder physische Gewalt vertrieben.


Amill Gorgis (Vorsitzender der Fördergemeinschaft für eine Ökumenische Gedenkstätte für Genozidopfer im Osmanischen Reich e.V.)

Prof. h.c. Dr. phil. Tessa Hofmann (Vorsitzende der Arbeitsgruppe Anerkennung – Gegen Genozid, für Völkerverständigung e.V.)